Rede von Peter Morf, Juni 2001 - zum Abschluss des 1. Lehrgangs "Literarisches Schreiben" Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer, Ein Lehrgang geht zu Ende, wie viele andere Lehrgänge im EB-Wolfbach*** auch zu Ende gehen – und doch geht dabei etwas zu Ende, was neu war, für uns Beteiligte einmalig und aufregend, als hätte es noch nie einen Lehrgang gegeben, als wäre die Weiterbildung entdeckt, die Welt vielleicht sogar neu erfunden worden, hier im Wolfbach. Als Pioniere sind wir aufgebrochen und zusammengekommen, an vielen Samstagen im Lauf der letzten dreizehn Monate, haben unsere Köpfe tagsüber erhitzt, so sehr, dass sie abends nach Kursende kaum mehr gekühlt werden konnten. Projekte wurden ausgeheckt, Texte ausgedacht, weitergetüftelt und fortgesponnen, da zog jemand kritisch Bilanz, hielt vor, was fehlte, was vergessen oder verschütt gegangen war, während jemand anderer neu ausmass, was bereits aufgegangen, was gesetzt und damit vorhanden war; einen Blick nach blinden Flecken haben wir uns so angewöhnt, einen ungeduldigen Blick zum einen einen Blick, der immer wieder umherschweifte auf der Suche nach Neuland, zum andern aber war auch ein Ausblick, oft ein Rück-Blick nach dem Bestandenen, nach dem Vorhandenen, nach dem Gelungenem. So haben wir ein Augenmass entwickelt, das uns sehen zu lernen half in die Regionen des noch nicht erschlossenen Schreibens und zugleich erinnerte, was schon alles bereit lag in der Literatur und in unseren Lektüren: an Entdeckungen und Kenntnissen. Oft war auch eine Spannung da, eine Nervosität und Unsicherheit, wohin das wohl führen soll und wozu das Ganze gut sei – dazwischen dann auch helle Augenblicke, wo auf einen Lidschlag die Welt anders vor uns lag – oder in uns? Aufregung war da, das bestimmt: bei den Schreibversuchen, in den Lesungen und den Diskussionen, gelegentlich auch Unruhe, bis dann wieder jemand zu einem Höhenflug angesetzt hat, mit einem eleganten Start vielleicht, ab und zu auch eine holprige Landung in ein Klischee oder einen zu schnellen Schluss, doch ohne grösseren Schaden, das hoffe ich zumindest und weiss von nichts Anderem. Mit der Zeit hat sich gelegentlich auch Langeweile eingeschlichen, eine Folge von den vielen Versuchen, vom Anfangen und Weglegen, vom Weiterführen und Verwerfen, ein Gähnen und Sich-Strecken am frühen Samstagmorgen, ein Widerstand auch, sich an fremden Formen abzuarbeiten, ein lyrisches Schema zu übernehmen, einen dramatischen Plot zu entwickeln, eine Müdigkeit auszuprobieren von neuem, sich einzulassen auf Vorgaben, war aber nicht in solcher Langeweile ein Paradiesvogel versteckt – und im Brüten über dem Papier entschlüpfte er heimlich aus dem Ei und setzte, kaum flügge, an zu einem Flug in die Einfälle. Wir alle, die mit dem Lehrgang zu tun gehabt haben, sind Piloten geworden, Piloten in dem Sinne, als wir die Richtung des Lehrganges gemeinsam bestimmen mussten, zu viel war offen, was direkt mit dem Gegenstand des Lehrgangs zu tun hat, eine nicht einfache Sache sollte vermittelt werden: das literarische Schreiben. Im Hintergrund die Frage, mir beim Konzipieren des Lehrgangs öfters begegnet, wenn auch selten direkt gestellt, auch während des vergangenen Jahres im Lehrgang immer wieder präsent – meist unter der Oberfläche der alltäglichen Übungen, Versuche und Texte; in Zweifelsmomenten und Schaffenskrisen dann auch von einzelnen Teilnehmenden offen als Frage gestellt: ob man das wirklich lernen könne – das literarische Schreiben? Ist das literarische Schreiben nicht Sache des Charakters, mehr noch des Talents; ja eigentlich eine seltene Angelegenheit von Genies, von welchen es in jedem Jahrhundert nur gerade eine Handvoll gibt? In dieser Hinsicht sind wir in der deutschen Kultur gebrannte Kinder, schliesslich hat man sich lange Zeit immer blenden lassen von den Grössen der Literatur. Über allen Wipfeln thronen sie und rauschen über uns hinweg, ohne dass sie was dazu tun müssen; immer noch gibt es einige Vermittler von Kultur, welche die Luft menschenrein halten und uns den Blick auf die Wipfel, auf die Gipfel lehren. Goethe, Schiller, Frisch und Dürrenmatt sei Dank – sie können nichts dafür oder kaum was dagegen. Ja, kann man das wirklich lehren und lernen, das literarische Schreiben, ein Schreiben, das keine festen Muster kennt, das immer von neuem ansetzt zu Entwürfen von Welt und von Ich, als wäre noch nichts erkannt und gesehen, ein Schreiben, das keinen Nutzen bringen will, sondern das Schöne sucht und überraschende Einsichten zu finden hofft, ein Schreiben, das an Geheimnisse glaubt, überall, vor und in dir sind sie versteckt, es gilt sie nur zu ent-decken, ein Schreiben also, dem nichts gewiss ist und alles im Ungewissen, eine Welt im Urzustand quasi, im Akt der Schöpfung, der die Welt hervorbringt, als sei sie noch nicht da, noch nicht erforscht und begriffen bis in ihre letzten Winkel, ein Schreiben auch, das Gewissheiten aufspüren will und sich antreiben lässt von der Neugier auf Wahrheiten über den Zustand der Welt, über unser Wünschen und Wollen, über unser Tun und Lassen, ein solches Schreiben, unzuverlässig und unbestechlich, das soll gelehrt werden und gelernt wie das Bedienen eines Computers, wie die Gründung eines Unternehmens oder wie das Enwickeln einer Website? Ob das nur gut geht? Hier sei betont, dass wir im Wolfbach mit unserem Lehrgang nicht allein da stehen, auch wenn wir uns als Pioniere vorkommen mögen; viele andere Kurse und Lehrgänge sind ebenfalls dabei unsere sprachliche Wirklichkeit zu erforschen und uns zu schöpferischem Tun zu befähigen, auch wenn sie praktischer daherkommen mit ihren Titeln, Zielen und Zertifikaten. So besteht ein vielfältiges Angebot von Redekursen bis hin zum Lehrgang Kommunikation, in welchen das Redeverhalten trainiert und erweitert wird, aber auch in den Grundkursen für Lesen und Schreiben wird die Schrift mit ihren Tücken und Wundern hartnäckig angeeignet, weitergeführt ist das Angebot mit den verschiedenen Schreib- und Textwerkstätten, wo man staunen lernen, wer alles schreibt und für wen und warum, hier schliesst der Lehrgang Literarisches Schreiben den Bogen, und überall ist der Gegenstand derselbe, der für das gemeinsame Lernen Grundlage ist: eine Arbeit mit der Sprache, in der wir denken und empfinden, in der wir zusammen reden und handeln. Dabei forciert der Lehrgang Literarisches Schreiben diesen Gegenstand Sprache hin zu dem, was er eben auch ist – hin zu einem Gegenstand, der nicht nur Mittel der Kommunikation, sondern eigenständiges sprachliches Material ist mit Klängen und Rhythmen und Bildern und einem Geflecht von Bezügen und Mustern. Mit diesem Material lässt sich zwar reden und sich verständigen, aber oft ist es ein Wunder, dass die Verständigung gelingt, angesichts der vielen Mehrdeutigkeiten, die in jeder Rede und in jeder Äusserung versteckt sind und die im literarischen Schreiben plötzlich offen zu Tage treten. Im Lehrgang haben wir mit diesem Material gearbeitet, haben es benutzt und geformt, liessen es tönen und fliessen, stauten den Fluss, kneteten die Wörter um und ab bis zum Eintritt ins Wortmuseum, wo die Sprache sich selber gegenüber stand und anblickte, wenn nicht sogar anlachte. Vorgestossen sind wir: von der glatten Formulierung in Unebenheiten des richtigen Wortes, vom Bonmot ins stockende Reden, vom schnellen passenden Ausdruck in das Bild, das langsam trifft und nachhaltig bleibt, von der gängigen Rede zu schwerer passierbaren Wegen bis hin zu unseren Projekten, die anschliessend vorgestellt werden. Vom Lehrgang und seinen Wegen zeugt das Logbuch, das von den Teilnehmerinnen von Kurstag zu Kurstag fein säuberlich geführt worden ist – mit Einträgen zur Fahrt, mit Beobachtungen des Klimas und mit Notizen zu den laufenden Entdeckungen. Im Folgenden sei einiges zitiert von diesen Wegmarken auf einer Fahrt ins Offene. Einstieg Kurz nach 9 Uhr werde ich ins kalte Wasser gestossen. Ich bin nicht da um frei durchs Haus zu tanzen. Ins kleinste Zimmer soll man mich sperren, so dass ich es füllen kann. Lernen will ich. Eingetroffen ist ein jahrzehntelang vermisstes Gruppenerlebnis im Besprechen der Texte. Je länger ich meinen Text untersuche, desto mehr wird er zum Objekt. Gut, diese Art der Entbindung. Episch: Aus dem Er ein Ich machen – was sich da auftut. Die Figuren machen sich selbständig, sie entschliessen sich, dem Autor ihre Dienste zu verweigern, und wollen ihm dies persönlich mitteilen. Man darf trotzdem alles und muss gar nichts. Fazit: elf Figuren haben den Samstag nicht überlebt – zwei wurden irre. Lyrisch: Der eine hascht sich Melone mit Schinken, der andere entdeckt die alte Welt neu, die dritte lässt eine Begegnung nachklingen, sie geniesst den Morgenkaffee, nimmt das Meer bei der Hand. Leerstellen ausfüllen – was nicht alle erfüllt. Das Fazit: Ein Dichter weint im Wörtermeer Dramatisch: Wir wollen frei sein, aber wir sind gefangen, gefangen von der Spannung, aber viereinhalb Minuten sind nicht viereinhalb Minuten, gut dass es bei so viel Zeitverschiedenheit die Dramatik gibt, denn da existieren klare Gesetze, an die man sich halten kann. Plot in Sicht und das Minidrama im Hirn, hinter und vor sich: me gseht num a d'Lüüt ane, nöd i sie inne. Eindruck von einer dramatischen Lesung: Skrijabin, immer Skrijabin, von früh bis spät. Fiel mir etwas zu Boden, sagte ich o Skrijabin, gelang mir etwas nicht, sagte ich: hol dich der Skrijabin, Ja, der Skrijabin ist mir geblieben. Nicht seine Etüden, sondern sein Name, zum Skrijabin nochmal. Experimentell: Museumswolke in Winterthur mit Wasserfall, Kreidefelsen und Wald. Die Bilder gesehen und doch jeder anders. Wie nur klingt das Gesehene? Eine neue unerkannte Saite beginnt zu schwingen, wohin wohl? Die Museumswolke wird zum Museumszittern zu Museumssekunden Der Text ist nicht mehr Spielball der Schreibenden, Auf tut sich ein Blick in den Garten des Geheimniszustandes. Soweit das Logbuch. Nur noch zwei Bemerkungen zum Schluss: 1. Die Begegnung mit Autorinnen und Autoren ergab zu Beginn dieses Jahres besondere Ereignisse, da die übliche Unterteilung von Autoren und Publikum aufgehoben worden ist – aus dem Publikum wurden Zuhörende mit kritischem Gespür für die vorgestellten Texte. Und die Autoren von Hanna Koller über Beate Rothmayer bis zu Helen Meier und Klaus Merz verwandelten sich zu Partnern, die offen und persönlich von ihrem Schreiben als Beruf erzählten – dies sehr wohl auch als Bestätigung, dass Schreiben lernbar ist. 2. Das Beurteilen von Texten, das sogenannte Feedback in den Gruppen und im Plenum hat sich zunehmend als grosse Herausforderung erwiesen – war doch darin eine Grundfähigkeit verborgen, das selber Geschriebene kritisch zu sichten und zu verstehen. Hier konzentrierten sich einzelne Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Lehrgangs auf einen intensiven gegenseitigen Austausch – mir scheint, sie haben dabei etwas entdeckt, das mit dem heutigen Tag keineswegs abgeschlossen ist: ein achtsames und offenes Beurteilen des Fremden, in dem das Eigene mit enthalten ist. Das ist eine Sache, die mir vorkommt wie die Entdeckung einer Insel, zwar nicht ein Atlantis als paradiesisches Land, aber eine neue Insel, noch nicht klar geortet und erforscht, ein Utopia also, wo die Schreibenden ihre Leser ernst und voll nehmen, aber die Leserinnen auch ihre Schreiber voll und ganz respektieren mögen. Zum Schluss bleibt mir zu danken zuerst bei den Teilnehmerinnnen und Teilnehmern für das gemeinsame Abenteuer des Schreibens und Lesens, bei den Kursleitern, die sich mitbeteiligt haben – und schliesslich bei der Schule und jenen Angestellten, die dieses Unternehmen mit unterstützt haben. Für die nachfolgenden Lesungen wünsche ich Ihnen viel Vergnügen. Peter Morf, Juni 2001 *** Die EB-Wolfbach heisst heute EB Zürich, den Lehrgang gibt es noch immer (Anm. d. Red., 2012) |